Mano, weiblich, 30 Jahre:
Ein naher Angehöriger (m, Mitte 30) zeigt seit einiger Zeit zunehmend Verfolgungswahn. Ständig wechselt er die Schlösser der Tür, weil jemand angeblich in seiner Wohnung war. Er ist bereits umgezogen, weil seine ehemaligen Nachbarn in seiner Wohnung gewesen wären, seine Tapete zerschnitten hätten, Schränke verrückt etc. Der Boden seiner Wohnung (Beton!) würde sich wölben, weil die Leute unter ihm Nägel in die Decke schlagen. Jemand würde ihm Tiere in die Wohnung setzen, die Glühbirnen dampfen irgendetwas aus, dass ihn müde machen soll und so weiter. Ich könnte die Liste seiner Beobachtungen und Ängste endlos fortführen.
"Er hat keine keinerlei Einsicht, dass er bei seinen Wahnvorstellungen Hilfe braucht"
Wir trauen uns nicht, ihm zu erklären, dass alles totaler Quatsch ist, weil wir Sorge haben, in seine Verschwörungstheorien integriert zu werden. Wir wollen ihm bei seinen Wahnvorstellungen Hilfe bieten, aber er hat keinerlei Krankheitseinsicht. Welche Möglichkeiten haben wir, ihn in ärztliche Behandlung zu bekommen?
Es besteht bisher vermutlich keine ausreichende Eigen- oder Fremdgefährdung, die eine Zwangseinweisung rechtfertigen. Er hat bisher 'nur' vor Wut eine Fernsehkabel des Nachbarn durchgeschnitten und hat diverse Blessuren, wenn er vor Wut gegen die Wand schlägt.
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Antwort von Psychologen Online
Liebe Mano, die Erlebensweisen, die Sie schildern, treffen auf unterschiedliche Störungsbilder zu. Die Symptome scheinen aber erst einmal in den Formenkreis der Schizophrenie oder der Psychose zu verweisen. Dennoch kann es auch andere Möglichkeiten der Erklärung geben. Letztlich kann nur ein Psychiater (Facharzt) oder Psychotherapeut bei diesen wie sie sagen Wahnvorstellungen Hilfe leisten und eine Diagnose kann stellen. Durch müßte sich ihr Freund einem Fachmann/ einer Fachfrau ambulant oder stationär anvertrauen, um eine Anamnese und diagnostische Abklärung im Gespräch zu erhalten.
Für Angehörige und Freunde ist es oft schwer zu akzeptieren, dass seine Sicht auf die Welt genau so ist wie Sie das schildern. Wie Sie schon beschreiben, geht es um einen sehr von der Realität abweichenden Zustand, in dem ihn kaum Erklärungen oder Widersprüche mehr erreichen. Als Anliegen nennen Sie, dass Sie Ihrem Angehörigen helfen wollen, indem sie ihm versichern, dass alles "Quatsch" ist, sich das aber nicht trauen zu sagen. Sie wollen nicht riskieren, zu den "Anderen" gezählt zu werden, die ihm das Leben schwer machen und von denen er sich abwendet. Davon rate ich auch ganz klar ab.
Mit Verständnis für Wahnvorstellungen Hilfe leisten
Ich denke, der Weg führt in zwei Richtungen: Einerseits geht es darum, ihn mit dem, was er erlebt, ernst zu nehmen. So schaffen Sie einen Raum, in dem seine Wahrnehmung anerkannt wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass Sie das genauso erleben müssen. Das Motto ist eher: "Ich glaube dir, dass du das so erlebst." und "Ich erlebe das anders." Ein Beispiel dafür wäre, ihn zu fragen, ob sich für ihn jetzt gerade die Decke wölbt und sagen, dass Sie das nicht sehen können, ihm aber dennoch zu glauben, dass es für ihn so ist.
So entsteht womöglich eine Atmosphäre des Vertrauens, in der er sich versichern kann, wie jemand anders wahrnimmt als er, ohne seine eigene Wahrnehmung in Frage stellen zu müssen und damit sich selbst in Frage gestellt zu sehen. Vielleicht finden Sie miteinander auch eine Sprache, die die psychotisch anmutenden und irritierenden Wahrnehmungen, die er erlebt, ausdrücken, aber in einen anderen ("normaleren") Zusammenhang rücken und so nachvollziehbarer machen wie "Du fühlst dich bedroht." oder "Du hast Angst." oder "Du hast den Eindruck, dass andere massiv über deine Grenzen gehen.","Du fühlst dich nicht sicher." Wichtig also ist erst einmal, dass er sich verstanden fühlt und mit seiner Wahrnehmung da sein darf!
Selbsthilfegruppen können bei Wahnvorstellungen Hilfe und Verständnis schaffen
Um Tipps bezüglich des Umgangs mit jemandem mit einer so anderen Wahrnehmung zu bekommen, böte es sich auch an, Kontakt zu Menschen, die das selbst kennen, herzustellen. Vielleicht finden Sie Selbsthilfegruppen an Ihrem Wohnort oder in der Region mit Erfahrungen und Ansprechpartner.
Grundsätzlich bleibt die Frage, wie einschränkend Ihr Angehöriger das selbst erlebt. Wenn die Einschränkung von der betroffenen Person noch nicht als wirklich bedrohlich erlebt wird, wird auch die Motivation zum Handeln niedrig bleiben. Noch will er bei der Bewältigung seiner Wahnvorstellungen Hilfe nicht annehmen.
Statt für Wahnvorstellungen, Hilfe für Ängste und Stress bieten
Obwohl Ihr Angehöriger scheinbar keine Krankheitseinsicht hat, kann er durchaus unter einer Belastung stehen. So könnte sein Schlaf gestört sein. Vielleicht leidet er auch unter einem höherem Angst- oder Stresslevel und fühlt sich nicht so stabil und in sich ruhend wie gewöhnlich. Diese Symptome sind vielleicht ein Weg, ihn doch für den Besuch beim Arzt oder Therapeuten zu motivieren. So nimmt man seine Gefühlswelt ernst, ohne dabei auf die psychotisch anmutenden Symptome zu thematisieren. Gleichfalls besteht die Möglichkeit, dass solche Symptome von suchtfördernden Substanzen gefördert werden, also "suchtinduziert" sind. Ist Ihnen da etwas aufgefallen? Auch das könnte eine "Eintrittskarte" sein, sich in professionelle Hände zu begeben, weil "ihm sein Leben über den Kopf wächst" oder ähnliches.
Ich wünsche Ihnen in dieser schwierigen Situation auf jeden Fall das Allerbeste und hoffe, Ihnen ein bisschen weitergeholfen zu haben.
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Ines Walter ist Psychologin und Gestalttherapeutin. Sie lebt in Berlin.
- Die Antworten im Blog von Psychologen Online bieten eine erste Orientierungshilfe. Sie können keine Psychotherapie ersetzen und können auch keine Hilfe bei ernsten psychischen Problemen leisten. Die Online-Beratung erfolgt unentgeltlich durch einen Psychologen von Psychologen Online. Die Antwort bringt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin zum Ausdruck und spiegelt nicht unbedingt die Meinung von Psychologen Online wider.
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