Sebastian, 35 Jahre:
Liebes Team von Psychologen Online,
mein Problem: ich schiebe meine Aufgaben in meinem Job vor mich her. Teilweise habe sie wochenlang auf meiner Liste und fasse sie trotzdem nicht an. Meinem Chef fällt das nicht weiter auf, da ich sehr selbstbestimmt arbeiten kann. Aber ich weiß es natürlich und es belastet mich. Ich arbeite in der Werbebranche. Oft sind es Konzepte oder Texte, die ich Woche um Woche aufschiebe. Die Aufgaben sind nicht wirklich schwer oder sehr zeitaufwendig. Dennoch habe ich einen richtigen Widerwillen, damit anzufangen… in der Konsequenz vertrödele ich meine Arbeitszeit und habe oft am Ende des Tages wenig geschafft. Mit einem schlechten Gewissen gehe ich in den Feierabend.
"Prokrastination oder Aufschieberitis: Wie kann ich mich besser aufraffen und motivieren?"
Auch ich bin Fristen ausgesetzt, hab Verpflichtungen gegenüber Kunden oder meinen Kollegen. Manchmal hilft der steigende Druck, mich doch in Bewegung zu setzen. Es kam bereits mehrere Mal vor, dass ich die Woche vertrödelt habe, und dann auf den letzten Drücker die Aufgabe am Wochenende zu Ende gebracht habe. Zeit, die ich mit Freunden und Freundin verbringen sollte.
Nach meinen Recherchen ist es wohl ein Fall von Prokrastination oder wie meine Freundin mir vorhält, Aufschieberitis. Gibt es sowas? Ist das nur Faulheit oder sogar sein Krankheitsbild? Wie kann ich mich besser aufraffen und motivieren?
Ich freue mich auf Ihre Antwort!
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Antwort von Psychologen Online
Lieber Sebastian,
Ziele setzen und sie erreichen fördert die Motivation und Zufriedenheit. Sicher kennen auch Sie dieses Gefühl, wenn Sie am Tag einige wichtige Häkchen gemacht haben. Gesetzte Ziele jedoch nicht zu erreichen, kann auch für Frustration sorgen. Prokrastination ist ein durchaus verbreitetes Thema.
Wie Sie womöglich auch, frage ich mich, welche Gründe hinter dem Aufschieben stecken können oder, worauf Ihre Prokrastination hinweisen könnte. Vielleicht auf Unzufriedenheit im Job? Erfüllen Sie Ihre Tätigkeiten mit Sinn? Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß? Haben Sie das Gefühl, vom Chef mit Ihren Leistungen gesehen zu werden? Es gibt viele Motivationskiller. Welche sind Ihre?
Wie könnte man Prokrastination positiv deuten?
Vielleicht lässt sich die von Ihnen geschilderte Situation auch umdeuten. Dem Chef fällt Ihr spätes Anfangen nicht auf. Auf dem letzten Drücker reicht für gute Qualität anscheinend aus. Sie sind also sehr effizient! Wie wäre es, wenn Sie Ihre Arbeitsweise beibehalten - nur die Zeit, bevor Sie mit der eigentlichen Arbeit beginnen, mit Dingen füllen, die Ihnen tatsächlich Spaß machen.
Sie sollten auch die von Ihnen durchgeführten Aufgaben analysieren. Was unterscheidet die Aufgaben, bei denen Ihnen das Beginnen leichter fällt von den Schweren? Wo genau liegt die Schwere? Wann und bei welchen Aufgaben ist es Ihnen in der Vergangenheit schon besser gelungen? Was haben Sie da anders gemacht? Und was lehrt Sie das?
Sich selbst in Bewegung bringen
Manchmal muss der Zug erst in Bewegung kommen. Wenn er rollt, dann rollt er. Was könnte Anschub bei schweren Aufgaben geben? Um die Startschwierigkeiten zu überwinden, sollten Sie auf Ihre eigenen Muster schauen - welchen Druck brauchen Sie?
Es böte sich zum Beispiel ein Austausch mit Kollegen an oder schriftliches Brainstoming, bei dem Sie alles niederschreiben, was für die Aufgabe dienlich ist. Sie können sich auch durch selbstgeschaffene Fristen oder Zwangssituationen Druck machen. Erlauben Sie sich beispielsweise erst eine Belohnung, wenn 80% geschafft sind...überhaupt manchmal reichen 80% schon aus! Prüfen Sie welche Aufgaben nicht zu 100% (oder sogar 150%-ig) gelösz werden müssen...an dieser Stelle können Sie wertvolle (Lebens-)zeit einsparen!
eine praktische Methode gegen Prokrastination
Um der klassischen Aufschieberitis entgegen zu wirken, ist es insgesamt ratsam, nicht nur mit Fristen, sondern auch an der Planung zu arbeiten. Im Zeitmanagement ist beispielsweise die ABC-Analyse gut anwendbar. Dabei werden alle anfallenden Aufgaben in Kategorien aufgeteilt, A bedeutet dringlich, d.h. es gibt eine von außen gesetzte Frist, B bedeutet, dass Ihnen die Bearbeitung/das Thema (persönlich) wichtig ist, C dringlich, aber Ihnen nicht wichtig, d.h. diese Aufgaben können Sie gut delegieren und D bedeutet weder dringlich noch wichtig, das sind typische AUfgaben, die im Papierkorb landen...sie können natürlich auch erst einmal eine Ablage als "Papierkorb" beschriften und später entscheiden wegwerfen oder doch bearbeiten. Dann werden die Aufgaben entsprechend abgearbeitet. Um z.B. die Kategorie B aufzuwerten und "früher" zu bearbeiten, geben Sie den B-Aufgaben eien Frist, dann werden Sie quasi automatisch zu A-Aufgaben! So kann man gezielt planen, womit zuerst angefangen werden muss, damit kein Zeitstress entsteht.
Auch Selbstmanagement hilft!
Wenn Sie ein Morgenmensch sind, macht es Sinn morgens mit dem Schwierigsten/Langwierigsten zu beginnen, weil Sie nach dem Aufstehen gut leistungsfähig sind und der "innere" Schweinehund oft noch schläft. Verschwenden Sie also diese wertvolle Arbeitszeit nicht mit Kleinkram oder mit Aufgaben, die wenig Aufmerksamkeit benötigen (also C- oder sogar D-Aufgaben) oder "Mails" checken und beantworten, das können Sie besser in den Zeiten machen, in denen Sie nicht mehr so leistungsfähig sind.
Ich wünsche Ihnen alles gut und viel Freude beim Ausprobieren.
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Ines Walter ist Psychologin und Gestalttherapeutin. Sie lebt in Berlin.
- Die Antworten im Blog von Psychologen Online bieten eine erste Orientierungshilfe. Sie können keine Psychotherapie ersetzen und können auch keine Hilfe bei ernsten psychischen Problemen leisten. Die Online-Beratung erfolgt unentgeltlich durch einen Psychologen von Psychologen Online. Die Antwort bringt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin zum Ausdruck und spiegelt nicht unbedingt die Meinung von Psychologen Online wider.
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