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Impulsivität – wie kriege ich das in den Griff?


Karina, 28 Jahre:

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist erstmal ein Versuch, eine andere Sichtweise zu bekommen und ob es vielleicht der richtige Weg ist, eine Therapie zu beginnen. Auslöser war wieder mal ein Streit mit meinem Freund – ein Streit, der wie aus dem Nichts explodiert ist. Ein unnötiger Streit noch dazu. Jetzt denkt mein Freund daran, die Hochzeit erstmal abzublasen. So ist das immer wenn ich mich ungerecht behandelt und missverstanden fühle und versuche, mich dann so lange zu rechtfertigen und zu erklären, bis wir uns im Kreis drehen und alles mit jedem Wort nur noch schlimmer wird. Am Ende heule ich dann vor lauter Ungerechtigkeit und packe meine Sachen und schreie ihn an und will nur noch weg, obwohl ich im gleichen Moment weiß, dass ich total überreagiere und mir alles später leid tut. Aber ich kann nicht anders. Später sage ich dann brav Dinge wie "es tut mir leid, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist – ja du hast recht, ich darf nicht so ausflippen" und so weiter.

"Ich habe ständig das Gefühl, nicht gut genug zu sein und irgendwem irgendwas beweisen zu müssen! Warum?"

Ich habe so einen "Charakter", den ich in den Griff bekommen muss: ich bin ein sehr impulsiver Mensch und kann von jetzt auf gleich von 0 auf 180 sein. Ich habe mich mit Menschen gestritten, die mir sehr nahe stehen. So will ich eigentlich gar nicht sein. Ich diskutiere und rechtfertige und streite so lange, bis es keiner mehr aushält. Ich hatte bisher nicht wirklich Glück in Beziehungen und manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt fähig bin, eine Beziehung zu führen. Ich habe das Vertrauen verloren, weil ich oft betrogen und belogen wurde. Aber jetzt habe ich jemanden an meiner Seite, dem ich endlich vertrauen kann, aber mit dieser Art mache ich alles kaputt. Ich brauche ständig die Bestätigung, gut genug zu sein. Wenn er mir nicht sagt, dass er mich liebt, fange ich sofort das Zweifeln an. Oder ich bin traurig, wenn er im Bett lieber ein Buch liest, anstatt sich wie am Anfang sich mit mir zu unterhalten, zu lachen und zu blödeln. Ich weiß, dass das totaler Blödsinn ist, aber ich kann dieses Gefühl – trotz besserem Wissen – einfach nicht abstellen.

Ich habe jetzt Angst, immer wieder die gleichen Fehler zu machen. Ich habe Angst, diesen Menschen zu verlieren. Ich habe Angst, dass die Hochzeit wegen meiner Dummheit abgesagt wird und ich habe Angst, dass ich diese Impulsivität nicht in den Griff bekomme und möchte die Vergangenheit hinter mir lassen und nicht immer alles in Frage stellen. Können Sie mir etwas raten? Vielen Dank im Voraus!

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Antwort von Psychologen Online

Hallo Karina,

danke für Ihre Anfrage und Ihr Vertrauen, das Sie mir dadurch entgegenbringen. Was Sie mir da beschreiben, sind erstmal ziemlich normale Konflikte, wie sie in den meisten Beziehungen immer mal wieder auftauchen. Beziehungen, gerade wenn sie intensiv sind, sind eben nicht nur romantisch, sondern sie sind der Ort, wo man seine eigenen Schwierigkeiten, alles was noch ungeheilt in einem ist, wiederfindet und gespiegelt kriegt. Ich finde, die Liebesbeziehung ist das Schwierigste auf der ganzen Welt – das gut und dauerhaft hinzukriegen, das ist die größte Aufgabe von allen und gelingt ja auch wirklich nicht jedem.

Impulsivität in Beziehungen – Warum sie nicht nur schlecht ist

Sie haben also einen „Charakter“, sie sind impulsiv und wahrscheinlich auch emotional sensibel. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Menschen sind unterschiedlich, manche sind sehr impulsiv, andere sind eher geduldig oder defensiv oder ängstlich und oft finden sich ja Partner, die gerade nicht gleich sind. Ich will sagen, sie müssen gar nicht versuchen, nicht mehr impulsiv zu sein, oder einen starken Gerechtigkeitssinn zu haben – und streiten können ist auch nicht nur eine schlechte Eigenschaft. Manche können das nicht, haben Angst davor und müssen es erst lernen!

Impulsivität als Spiegel alter Verletzungen

Hinter ihrer Impulsivität spüre ich aber noch was anderes, eine alte Verletzung, die offenbar immer noch weh tut. Damit meine ich das Grundgefühl, nicht genug zu sein. Die Idee vielleicht, ein Mensch zu sein, der zu schwierig ist, den man nicht lieben kann und dass Sie sich also immer anstrengen müssen oder irgendwas beweisen müssen, um überhaupt liebenswert zu sein. Aus diesem Grundgefühl kommt dann die ganze Spannung, die sie dann im Streit erleben und was dazu führt, dass Sie nicht aufhören können und immer weitermachen müssen – statt mit etwas Mitgefühl und Humor die Sache etwas mehr von außen betrachten zu können.

In dem Moment, wo Sie ein Grundgefühl hätten, ich bin OK, ich bin liebenswert, auch wenn ich die eine oder andere Macke habe, genau wie alle Anderen – würde Streit in der Beziehung eher normal verlaufen und weniger eskalieren.

Impulsivität verstehen und annehmen

Da hilft es aber nur ein bisschen, wenn man sich das so klarmacht und versucht, sich selbst so anzunehmen, wie man ist und zu denken: ich bin liebenswert. Hinter dem Grundgefühl steht nämlich vermutlich eine lange Geschichte, und das sind nicht nur die negativen Erlebnisse in früheren Partnerschaften, sondern wahrscheinlich eher etwas aus der Kindheit. Darüber weiß ich ja gar nichts. Sie können sich aber selber fragen:

  • Bei wem war ich mir nie sicher, ob ich geliebt werde, ob ich gut genug bin?
  • Für wen musste ich mich anstrengen oder habe ich immer versucht, etwas zu beweisen?

Das kann Vater oder Mutter sein oder auch jemand anderes, der Ihnen sehr wichtig war.

Alte Wunden heilen – Ein neuer Blick auf sich selbst

Wenn man so etwas in seiner eigenen Geschichte findet, dann ist es das, was man in einer Psychotherapie angehen würde, wo man versucht, dieses Gefühl, diese Idee, nicht gut genug zu sein, zu heilen. Es ist ja nur eine Idee, die ein kleines Mädchen irgendwann angefangen hat zu glauben. Denn vermutlich sind Sie völlig in Ordnung, liebenswert und bereit für eine echte Beziehung.

Inneres Kind

Wenn Sie damit nicht gleich in eine Psychotherapie gehen, kann es aber schon helfen, sich solche Zusammenhänge klarzumachen und im Streit – oder wenigstens hinterher – sich daran zu erinnern: eigentlich ist es mein kleines inneres Mädchen, das sich verletzt gefühlt hat wegen Vater oder Mutter und eigentlich nicht wegen ihm, dem Partner. Der hat Ihnen das nur gespiegelt. Dann kann man gefühlsmäßig oftmals viel schneller aus dem Streit herauskommen. Und dann braucht man auch nicht mehr „brav sein“ oder sagen, du hattest völlig recht und ich hatte unrecht usw.
Nein, vielleicht war ihre Ansicht ganz vernünftig, aber die Emotion kam eigentlich von woanders, das kann man dem Partner auch sagen: „Du, das hat mich an was anderes von früher erinnert, darum habe ich mich so verletzt gefühlt, eigentlich hat das mit dir gar nichts zu tun!“

Das ist ein Aspekt der so genannten Arbeit mit dem Inneren Kind. Wenn sie nicht gleich deswegen Therapie machen wollen, könnten sie sich einfach mal mit dem Thema beschäftigen oder ein Buch zum Stichwort Inneres Kind lesen, es gibt einige gute dazu. Das kann schon mal einige Erleichterung bringen und neue Perspektiven eröffnen.

Soweit meine Gedanken dazu; ich hoffe, dass das schon ein bisschen helfen kann. Ich wünsche Ihnen in jedem Fall viel Glück auf Ihrem weiteren Lebensweg!

Lutz Förster

  • Lutz Förster ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut und lebt in Südfrankreich.

  • Die Antworten im Blog von Psychologen Online bieten eine erste Orientierungshilfe. Sie können keine Psychotherapie ersetzen und können auch keine Hilfe bei ernsten psychischen Problemen leisten. Die Online-Beratung erfolgt unentgeltlich durch einen Psychologen von Psychologen Online. Die Antwort bringt die persönliche Meinung des Autors oder der Autorin zum Ausdruck und spiegelt nicht unbedingt die Meinung von Psychologen Online wider.
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